ZEIT WISSEN Saubere Autos, mutiges Design Warum werden unsere Autos immer langweiliger? Ein ZEIT-WISSEN-Gespräch mit dem legendären Autodesigner Chris Bangle – über SUVs, schwindende Ressourcen und den Stillstand des Autodesigns. Herr Bangle, im vergangenen Jahr wurden weltweit rund 70 Millionen Autos gebaut, aber abgesehen von ein paar Details sehen sie alle gleich aus. Fehlen den Designern die Ideen? Ich denke nicht, dass es an Ideen mangelt, sondern an Mut. Die Autoindustrie scheut sich, dem Kunden etwas Neues, Ungewohntes vorzusetzen. Menschen, die sich ein Auto kaufen, haben bestimmte Vorstellungen und möchten, dass die erfüllt werden. Das führt dazu, dass Autos gebaut werden, die aussehen wie die Autos davor. Diese Mutlosigkeit ist nicht neu, aber früher war sie nicht so groß. Woran liegt das? Es liegt an der Überhöhung der Marken. Marken sind zu etwas Unantastbarem geworden. Gibt es noch den alten Konflikt zwischen Designern und Ingenieuren, Skizzenblock und Windkanal? Den gibt es noch, aber es ist keineswegs so, dass da Träumer und Realisten miteinander ringen. Vergessen Sie die Klischees. Es gibt zwar physikalische Fakten, aber die Ingenieure verweben sie mit Meinungen. Das Konzept der Ingenieure ist in sich objektiv stimmig, die Ausgangspunkte jedoch sind völlig subjektiv fest- Foto BMW AG 40 Alnatura Magazin 04.2017
Exklusive Kolumne des Bestseller-Autors März / April 2017 NR. 02 gelegt. Mir ist wichtig, dass sich Ingenieur und Designer gemeinsam auf ein Ziel einigen und schauen, was am Ende dabei herauskommt. Das klingt nach einer guten Theorie, die in der Praxis aber bestimmt nicht immer ganz aufgeht. Okay, ich mache es plastisch. Anhand des berühmten Hecks, wegen dem die halbe Autowelt über mich hergefallen ist. (Anm. der Red.: Bangle meint den BMW 7er. Er wurde 2001 vorgestellt und brach mit der bis dahin vorherrschenden Designlinie. Nach der Präsentation der Limousine setzte eine heftige Diskussion ein, die sich vor allem an der voluminösen Heckgestaltung entzündete. Für BMW war das Auto dennoch ein Erfolg, nie zuvor verkaufte der Hersteller so viele Exemplare seines Oberklassemodells.) Es begann damit, dass die Ingenieure, um strengere Abgasgrenzwerte einhalten zu können, viel mehr Luft für den Motor benötigten. Die Lufteinlässe in der Front mussten also deutlich größer werden, in der Höhe beispielsweise waren es knapp fünf Zentimeter im Vergleich zum Vorgängermodell. Wenn die Lufteinlässe höher werden, liegt auch die Motorhaube höher. Wenn die Motorhaube höher liegt, müssen auch der Fahrersitz und die Rücksitze etwas höher positioniert sein. Und wenn die hinteren Passagiere höher sitzen, muss auch das Dach höher werden, damit noch genug Kopffreiheit vorhanden ist. Wenn aber das Dach höher ist, muss auch das Heck höher werden – und das ist keine optische Entscheidung, sondern eine physikalische Notwendigkeit, denn das Heck ist ein aerodynamisch heikler Bereich. Was sagt es über unsere Zeit, dass SUVs so populär geworden sind? Am Anfang standen SUVs für Cowboy-Pioniere, große, kräftige Typen, unrasiert, cool und in Stiefeln. Auf jeden Fall lösen diese Autos ein paar Probleme. Die Leute wollen einen besseren Überblick haben, sie wollen das Gefühl haben, die Dinge zu kontrollieren, zudem ist es bequemer, in einen SUV zu steigen als sich in eine Limousine hinabzubeugen. Außerdem ist das Sicherheitsgefühl in einem hoch aufragenden SUV tatsächlich größer als in einem kleineren, flacheren Auto. Allein schon, weil ich deutlich mehr Blech um mich herum habe. Können Designer etwas beitragen gegen die Verschwendung von Ressourcen? Die eigentliche Frage ist doch, ob die Energie, die das Auto antreibt, sauber ist oder nicht. Wenn sie nicht sauber ist, müssen wir alles daransetzen, so wenig wie möglich davon zu verbrauchen. Für das Design bedeutet das dann, den Wagen so aerodynamisch wie möglich zu gestalten. Wenn die Energie aber sauber wäre, wenn die Welt unserer Kinder durch unseren Energieverbrauch nicht schlechter würde, dann stünden dem Design ganz neue Möglichkeiten offen. In der Autobranche gibt es derzeit zwei große Themen: autonomes Fahren und elektrische Antriebe. Werden diese Entwicklungen das Autodesign verändern? Ich denke schon, aber ich habe keine Ahnung, wie. Nehmen wir das autonome Fahren. Es wird kommen, schon allein damit die mit Autos aufgewachsene Babyboomer-Generation auch im hohen Alter mobil bleiben kann. Wenn Autos dann selbst fahren, könnten all die strengen Regeln zum Schutz von Insassen und Fußgängern, die das Autodesign heute einengen, gelockert werden. Was die Designer daraus machen, werden wir sehen. Das will ich WISSEN Gesundheit, Psychologie, Forschung und Gesellschaft – entdecken Sie in ZEIT WISSEN faszinierende Reportagen, anregende Interviews und ausdrucksstarke Bilder, die Ihr Leben bereichern. WISSEN Sichern Sie sich jetzt NEU! Ihre Gratisausgabe! WISSEN DIGITALE SELBST- VERTEIDIGUNG Sich vom Internet nicht täuschen und benutzen lassen Lektionen von 7 Experten ICH – wer ist das? Wenn Menschen das Gefühl für sich selbst verlieren PETER WOHLLEBEN Lasst mich in Ruhe! Die besten Strategien, sich erfolgreich abzugrenzen Einfach Gutschein-Code ZW944AN04 unter zeit.de/zw-gutschein eingeben. Was muss sich zuerst ändern, die Technik oder das Design? Ganz gleich, welche Fortschritte die Technik macht, Autodesign sollte immer im Wandel sein. Woher die Anstöße kommen – ob von der technischen Forschung oder von den Designern –, ist nicht maßgeblich. Vonseiten der Designer sehe ich da aber gerade nicht viel. Steckt das Autodesign in einer Krise? Ja, ein Symptom davon ist zum Beispiel, dass nahezu jedes Auto als Sportwagen gedacht wird. Selbst Familienautos, Geländewagen, Stadtmobile – immer geht es um Dynamik und Rasanz. Ich denke, das ist falsch. Und es engt die Auswahl für den Autokäufer dramatisch ein. Die Chefdesigner der großen Autohersteller sind alle Männer. Würden mehr Frauen in der Branche helfen? Ich weiß nicht, ob die gegenwärtige Situation am Geschlecht des Designpersonals liegt. Könnte schon sein. Speziell das Karosseriedesign war – und das gilt wahrscheinlich noch immer – eine ziemlich sexistische Angelegenheit. Der Karosseriekörper ist ein hoch sexualisiertes Objekt und entsprechend wird darüber gesprochen. Der neue US-Präsident würde das, was in manchen Designstudios geredet wird, wahrscheinlich »locker room talk« nennen, aber hier sprechen wir über Blech, nicht über Menschen. Ein Teil der Aufgabe eines Autodesigners ist es, erotische Gefühle zu wecken. Bei Autos geht es schließlich um Leidenschaft. ››› Chris Bangle ist einer der einflussreichsten Autodesigner unserer Zeit. Mit 25 Jahren kam er aus den USA zu Opel nach Rüsselsheim. Nach einer Station bei Fiat war er zwischen 1992 und 2007 Chefdesigner bei BMW in München. Heute lebt er mit seiner Frau in Italien und führt seine eigene Designfirma »Chris Bangle Associates«. Das Interview führten Hanno Rauterberg und Jürgen Pander für ZEIT WISSEN (die ungekürzte Fassung des Gesprächs lesen Sie in der ZEIT-WISSEN-Ausgabe 02/2017) Alnatura Magazin 04.2017 41
Laden...
Laden...
Laden...