GUT ZU WISSEN Wenn Antibiotika nicht mehr wirken Antibiotika sind ein wichtiges Instrument bei der Behandlung bakterieller Infektionen. Doch immer mehr Erreger werden gegen die Wirkstoffe resistent. Wie kommt das und was können wir tun, um gegenzusteuern? W eltweit nehmen Antibiotikaresistenzen zu – laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind sie »eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit«. 1 Die Bildung von Resistenzen ist etwas ganz Natürliches und jeder Einsatz von Antibiotika kann diesen Prozess fördern: Empfindliche Bakterien werden abgetötet – die widerstandsfähigen jedoch überleben und vermehren sich weiter. In den letzten Jahrzehnten wurden weltweit immer mehr Antibiotika eingesetzt. Das sorgt für einen Selektionsdruck: Bakterien, die genetisch sehr anpassungsfähige Organismen sind, werden gewissermaßen darauf getrimmt, sich mit Resistenzen gegen die Wirkstoffe zu wehren. Solche Resistenzen entstehen zum einen durch zufällige Mutationen im Erbgut der Bakterien. Zum anderen können die Bakterien aber auch Resistenzgene untereinander austauschen und weitergeben. So entstehen multiresistente Erreger, gegen die viele verschiedene Antibiotika machtlos sind. Infektionen mit diesen Erregern lassen sich schlechter behandeln, weil weniger wirksame Medikamente zur Verfügung stehen, und können einen komplizierten Verlauf nehmen. Insbesondere für Menschen mit einem schwachen Immunsystem, Kinder und ältere Personen ist das gefährlich. Gesunde Menschen können multiresistente Erreger in sich tragen, ohne selbst zu erkranken. Sie übertragen die Keime dann unter Umständen unwissentlich auf Personen mit geschwächter Abwehr. Resistente Bakterien entstehen und finden sich logischerweise oft dort, wo viele Anti biotika eingesetzt werden, etwa in Kliniken oder Pflege heimen, aber auch in der Landwirtschaft. 48 Alnatura Magazin Januar 2023 ÜBERTRAGUNG VOM TIER AUF DEN MENSCHEN Wenn Antibiotika bei Nutztieren zum Einsatz kommen, entwickeln dort Bakterien Resistenzen gegen die Wirkstoffe. Und diese resistenten Bakterien bleiben dann keineswegs innerhalb von Herde oder Stall. Nach Aussagen des RKI ist es »unstrittig, dass bestimmte resistente Bakterien oder ihre Resistenzgene aus dem Bereich der Landwirtschaft (wie etwa der Tiermast) auf den Menschen übertragen werden können.« 2 Das Alnatura Magazin hat dazu mit Dr. Bernd-Alois Tenhagen gesprochen. Er ist Tierarzt und Leiter der Fachgruppe Epidemiologie, Zoonosen (Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Mensch und Tier übertragen werden können) und Antibiotikaresistenz beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Dr. Tenhagen belegt die Übertragung mit einem Beispiel: »Das Bakterium Campylobacter ist im Darm von Masthähnchen weit verbreitet und hat dort hohe Antibiotikaresistenzen entwickelt. Im menschlichen Darm kommt der Erreger üblicherweise nicht vor. Er ist aber beim Menschen die häufigste Ursache von bakteriellen Darmerkrankungen, wobei die Erreger dieser Erkrankungen ursprünglich häufig vom Masthähnchen stammen.« Durch direkten Tierkontakt, über rohes Fleisch, aber auch über Gülle oder die Abluft aus Ställen gelangen diese Bakterien in die Umwelt und zum Menschen. Noch ist unklar, in welchem Umfang das auch zum Resistenz problem beim Menschen beiträgt. 1 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Grundwissen/Grundwissen_inhalt.html 2 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html 3 https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/05_Tierarzneimittel/03_Tieraerzte/05_Antibiotikaresistenzen/03_ Lebensmittel_liefernde_Tiere/Lebensmittel_liefernde_Tiere_node.html
GUT ZU WISSEN »Antibiotikaresistenzen sind eine der größten Heraus forderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit.« Robert-Koch-Institut WENIGER IST MEHR Was also tun? Dazu nochmals Dr. Tenhagen: »Die einzige Lösung besteht darin, Antibiotika seltener und weniger einzusetzen. Denn jede Antibiotikagabe bewirkt, dass alle Bakterien im Umfeld – übrigens auch die, die man gar nicht behandeln will – sich darum bemühen, Resistenzeigenschaften zu erwerben.« Antibiotika sollten also nur eingesetzt werden, wenn es medizinisch angezeigt ist – das gilt bei Menschen und Tieren. Nicht immer ist das der Fall, gerade in der Nutztierhaltung. Nicht ohne Grund mahnt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens mittelsicherheit: »Antibiotika dürfen nicht dazu verwendet werden, betriebliche Mängel, zum Beispiel in der Hygiene oder in den Haltungsbedingungen, auszugleichen.« 3 Fachleute fordern, dass neue Antibiotika-Wirkstoffklassen als Reserveantibiotika der Humanmedizin vorbehalten sein sollen. Sonst, so die Warnungen, lässt sich die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen nicht begrenzen und selbst banale bakterielle Infektionskrankheiten werden irgendwann nicht mehr zu therapieren sein. GANZHEITLICHE LÖSUNGEN SIND NÖTIG Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ist eng mit - ei n ander verknüpft. Das berücksichtigt auch der sogenannte One- Health-Ansatz der WHO. Das Credo: Globalen Herausforderungen wie Antibiotikaresistenzen können wir nur ganzheitlich und fächerübergreifend begegnen. Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften müssen dabei an einem Strang ziehen. STRENGE REGELN IM BIO-LANDBAU Im Bio-Landbau ist die präventive Verabreichung von Antibiotika oder gar die Behandlung ganzer Herden damit verboten. Erkrankt ein Tier, so haben Naturheilkunde und Homöopathie Vorrang. Nur wenn diese nicht wirken, dürfen – streng kontrolliert – Medikamente aus der Schulmedizin eingesetzt werden. Die EU-Öko-Verordnung schreibt außerdem vor, dass die Nutztiere im Bio-Landbau eine ihren Bedürfnissen angemessene Haltung erfahren – in kleineren Herden und mit ausreichend Auslauf an der frischen Luft. Dies und die Wahl geeigneter, robuster Rassen kann dazu beitragen, dass die Tiere seltener krank werden. All diese Maßnahmen, die die Bio-Bäuerinnen und -Bauern mit viel Engagement und Expertise umsetzen, haben einen positiven Einfluss auf das Wohlergehen der Tiere. So bleiben sie gesund und eine Behandlung mit Antibiotika ist oft gar nicht erst nötig. mk Was wir tun können: • als Patientin oder Patient verantwortungsvoll mit Antibiotika umgehen • Küchenhygiene beachten: Fleisch durchgaren; alles, was mit rohem Fleisch Kontakt hatte, gründlich reinigen; Gemüse und Obst waschen • getrennte Schneidebretter für Fleisch und Gemüse/Salat • beim Fleischkauf auf Haltungsbedingungen achten – Bio-Tiere werden seltener und nicht prophylaktisch mit Antibiotika behandelt
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