HERSTELLER-REPORTAGE Saurer Genuss In Waldburg bei Ravensburg stellt die Adrian Manufaktur Essig und Shrubs in Bio-Qualität her. Das Alnatura Magazin hat die Pro duktion im vergangenen Oktober begleitet – und die Apfelernte, die ihr vorausging. Natürlich könnte man es bei der Verwandlung von Most zu Wein belassen, dann wäre schließlich schon einiges geschafft. Oder man geht noch einen Schritt weiter und forciert das, was Weinliebhaberinnen und -liebhaber fürchten, wenn ihr guter Tropfen zu lange offen stehen bleibt: dass er zu Essig wird. In Waldburg bei Ravensburg ist genau das gewollt. In einer geräumigen Produktionshalle stellt die Vom- Fass-AG Essig her, die Adrian-Manufaktur ist deren Bio-Segment. Ein saurer Geruch hängt in der Luft, Gabelstapler fahren zwischen riesigen Tanks und Regalen mit Kanistern umher, Maschinen dröhnen und brummen. »Hier bekommen die Essigbakterien ihr Wellnessprogramm«, sagt Stefan Buggle, als er vor einem meterhohen Edelstahltank stehen bleibt. Buggle ist Lebensmittelchemiker und an der Entwicklung neuer Produkte beteiligt. Er erklärt so anschaulich und verständlich, als hätte er einen Zweitjob bei der Sendung mit der Maus. Den Tank, um den es geht, nennt er Acetator, es handelt sich um einen Essigfermenter und er ist so etwas wie das Herzstück der Produktion. »Er funk tioniert wie eine Badewanne, aber noch besser lässt er sich als Whirlpool begreifen«, sagt Buggle. Und dann holt er aus: Im Acetator schwimmen 600 Liter vergorener Most vermengt mit Essigsäurebakterien, pro Stunde wird ein Kubikmeter Luft hindurchgepumpt. Die Bakterien brauchen die Bei der Apfelernte auf dem Rösslerhof packen auch die Kinder von Landwirt Gereon Güldenberg mit an. Auf den Streuobstwiesen fühlen sich nicht nur zahlreiche Insekten wohl, sondern auch die Milchkühe des Landwirts. Luft zum Atmen. Sie ernähren sich vom Alkohol, verwandeln ihn zu Essig säure. Wo man früher Wein in einen Topf füllte und der Sauerstoff über Wochen, Monate oder auch Jahre über die Oberfläche wirkte, verwandelt der Acetator seinen Inhalt innerhalb von 24 Stunden zu Essig. Vor der Produktionshalle hält ein Lastwagen, vom Fahrersitz springt Gereon Güldenberg, Landwirt des nahe gelegenen Rösslerhofs. An diesem kühlen Oktobertag bringt er Äpfel, die zunächst einmal zu Saft gepresst werden. Sie sind Bioland-zertifiziert und stammen von seinem Hof: Boskoop, Brettacher, Bohnäpfel, Glöckenäpfel, Goldparmäne, lauter Sorten, darunter auch alte, die saftig sind und gut vergären. Güldenberg hat sich mit anderen landwirtschaftlichen Betrieben Oberschwabens zu einer Höfegemeinschaft zusammengeschlossen. Der Adrian- Manufaktur steuern sie zur Essigherstellung gemeinsam 40 Sorten bei. Allein auf Güldenbergs Hof wachsen 400 knorrige Streuobstbäume, die Früchte hat er von Hand gesammelt. »Dieses Jahr sind viele Blüten bei spätem Frost erfroren«, sagt Güldenberg. Deshalb habe die Erzeugergemeinschaft nur 15 Tonnen Äpfel für die Essigherstellung bereitstellen können – im vergangenen Jahr sei es 18 Alnatura Magazin März 2020
Oben: Produktentwickler Stefan Buggle bei der Qualitätsprüfung der Essigspezialitäten. Links: Nur aus guten Früchten lässt sich auch guter Essig gewinnen. Dazu werden die ganzen Früchte vergoren. Wichtig ist, dass keine faulen Äpfel in die Pressung gelangen, sie würden das Aroma verderben. Deshalb werden die Früchte mehrfach inspiziert. ein gutes Drittel mehr gewesen. Bei schwankenden Ernteerträgen ist Essig ein dankbares Erzeugnis, denn er ist so gut wie unendlich haltbar. »Mit der Zeit wird er dunkler und sogar runder im Geschmack«, erklärt Lebensmittelche miker Buggle. Fällt die Ernte knapp aus, so wie in diesem Herbst, habe man noch Essig aus dem Vorjahr in der Reserve. Sei die kommende Ernte wieder besser, kaufe man dann eben wieder mehr, erklärt er. »Die Landwirte können also auch in guten Jahren mit uns als flexiblem Abnehmer rechnen.« Landwirt Güldenberg liefert neben den Äpfeln auch Birnen, die ebenfalls zu Essig und Balsam-Essig weiterverarbeitet werden. Balsam-Essig schmeckt milder, weil dem Essig nach der Fermentation eingedickter Fruchtsaft beigemischt wird. Auch über den Anbau von Quitten denkt Güldenberg nach. Aber es würde drei bis fünf Jahre dauern, bis sie Früchte tragen, daher ist das für ihn im Moment noch Zukunftsmusik. Die Adrian-Manufaktur gewinnt aus Quitten schon heute süßsauren Shrub, einen essighal tigen Fruchtsirup. Das Laufband ist angesprungen, es befördert Apfel für Apfel nach oben. Landwirt Güldenberg hat sie vorsortiert, gemeinsam mit seinen Mitarbeitern unterzieht er die Früchte einem letzten prüfenden Blick. Gleich landen sie in der Waschanlage, anschließend in der Saftpresse. Nun geht es also los mit der Produktion. Es wird zwei, drei Wochen dauern, bis die neue Apfelernte erst zu Wein und dann zu Essig geworden ist – mit voller Absicht, natürlich. JL Tipps für Shrubs Bei Shrubs handelt es sich um Fruchtsirups mit einem Essiganteil, mit denen an den Bars vor allem der angelsächsischen Welt Drinks aufgepeppt werden. Ursprünglich im 17. Jahrhundert in Großbritannien entwickelt, gelangten Shrubs von dort aus in die USA, wo sie als Bestandteil von Limonadengetränken wie auch von Cocktails Anklang fanden. Der Essig verleiht dem Fruchtsirup nicht nur eine säuerliche Geschmacksnote, er reduziert auch dessen Zuckeranteil. Mit Sprudel aufgegossen, wird der Shrub zum Erfrischungsgetränk und ein paar Spritzer veredeln manch einen Longdrink oder Aperitif. Traube-Ingwer- Shrub zum Beispiel passt prima zu Gin Tonic, Quitten-Shrub zu Prosecco. Auch bei Süßspeisen, Quark, Salatdressings und Fischgerichten lohnt sich das Experimentieren. Alnatura Magazin März 2020 19
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